Über Transgender

Transgender


Transgender (lat. trans „jenseitig“, „darüber hinaus“ und engl. gender „soziales Geschlecht“) ist ein Begriff für Abweichungen von der zugewiesenen sozialen Geschlechterrolle beziehungsweise den zugewiesenen sozialen Geschlechtsmerkmalen (Gender). Der Begriff Transgender kann als eine positive Selbstbeschreibung und Positionsbestimmung im gesellschaftlichen heteronormativen Raum dienen: Menschen, die sich nicht klar auf eine der naturalisierten Rollen Mann oder Frau festlegen können oder wollen, bezeichnen sich selbst auch als genderqueer.

Grundlagen


Der Begriff Transgender ist eine Bezeichnung für Menschen, die sich mit der Geschlechterrolle, die ihnen bei der Geburt aufgrund der äußeren Geschlechtsmerkmale zugewiesen wurde, nur unzureichend oder gar nicht beschrieben fühlen. Transgender ist auch eine Selbstbezeichnung jener Menschen, die sich mit ihren primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen nicht oder nicht vollständig identifizieren können. Personen der Richtung Mann-zu-Frau werden häufig als Transfrau, Personen der Richtung Frau-zu-Mann als Transmann bezeichnet. Manche Transgender lehnen sogar jede Form einer Geschlechtszuweisung oder Geschlechtskategorisierung generell ab.

Von den meisten Transgender-Aktivisten wird Transgender als ein Oberbegriff für diejenigen Menschen verwendet, die sich sichtbar der klassischen Zuordnung einer Geschlechtsrolle entziehen. Zu diesem Oberbegriff gehören als bekannte Unterbegriffe die Transsexualität und der Transvestitismus. Doch auch noch einige andere nicht-transsexuelle Menschen, die ständig oder vorwiegend in einer anderen als der ursprünglich zugewiesenen Geschlechterrolle leben oder sich einfühlen, sind Transgender. Dazu zählen:

  • Androgynie,

  • Bigender,

  • Cross-Dressing,

  • Drag King und Drag Queen.

Die letzten drei Erscheinungsformen gelten dann als Transgender, wenn das Überschreiten der Geschlechterrolle nicht nur als Travestie im Sinne einer öffentlich zur Schau gestellten Verkleidungskunst anzusehen ist. Üblicherweise nicht eingeschlossen − obwohl im Einzelfall die Abgrenzung schwierig sein kann − ist transvestitischer Fetischismus. Dieser Wechsel der Geschlechterrollen geschieht zeitweise, und er dient einer sexuellen Stimulation.

Transgender können unter die herkömmlichen Definitionen eines der obengenannten Begriffe passen, müssen es jedoch nicht. Ob und in welchem Maße Transgender medizinischegeschlechtsangleichende Maßnahmen anstreben, ist in jedem einzelnen Fall verschieden, dies gilt auch für die nach dem Transsexuellengesetz mögliche Änderung des Vornamens und gegebenenfalls des Personenstands.

Das Gegenteil von Transgender wird von Sigusch mit dem englischen Wort Cisgender (lat. cis für diesseits und engl. gender für Geschlecht) oder Zissexuell bezeichnet: Es sind Menschen mit einer Geschlechtsidentität auf der Basis der angeborenen primären Geschlechtsorgane.

Begriffsgeschichte


Transgender wird heute fast ausschließlich als ein Oberbegriff benutzt. Außerdem wählen solche Menschen den Begriff Transgender als eine Selbstbezeichnung, die sich nicht auf eine der engeren Kategorien festlegen wollen. In den 1970er Jahren wurde der Begriff Transgender von Virginia Prince (Geburtsname: Arnold Lowman) in den USA geprägt. Sie bezeichnete sich selbst in dieser Zeit als heterosexueller Transvestit, um sich von homosexuellen und transsexuellen Menschen abgrenzen zu können. Der Begriff Transgender sollte Menschen beschreiben, die die soziale Geschlechtsrolle vollständig wechseln, egal ob chirurgische Eingriffe und geschlechtsangleichende Maßnahmen vorgenommen wurden.

Seit den 1980er Jahren wurde der Begriff Transgender zunehmend als ein gender-politischer Oberbegriff gebraucht. Gleichzeitig und parallel mit der Ablösung der Bezeichnung women’s studies(Frauenforschung) durch Gender Studies setzte sich in den USA für die erste Gruppe der Begriff Transgenderist durch. Diese Gruppierung ist in Europa kaum bis gar nicht vertreten. In Europa hat ein breiterer öffentlicher Transgender-Diskurs erst um 1995 begonnen.

Richtungsweisend war 1994 das DSM-IV: Es löste bei Geschlechtsidentitätsstörung die älteren medizinischen Diagnosen Transsexualität und Transvestitismus ab. Häufig − vor allem im nicht-medizinischen Bereich − wird der Begriff Transgender analog zu GID und GIDNOS verwendet. Im Bereich der Psychologie wird gelegentlich abgegrenzt zwischen dem Begriff GID, welcher den Begriff Transsexualität ersetzen sollte, und GIDNOS, der Transgender als einen nicht-klinischen Begriff einschließt.

Rollenwechsel


Berichte über Personen oder Vorfälle, die einen Rollenwechsel beschreiben, lassen sich in nahezu allen Kulturen finden. Viele Kulturen kennen den rituellen Wechsel der Geschlechtsrolle, der meist von einer zeitweiligen Dauer ist. Etliche Kulturen haben spezifische soziale Rollen für Menschen, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlen. Hierzu zählen:

  • Two-Spirit nordamerikanischer Indianerstämme,

  • Indische Hijras,

  • Khanith Omans und

  • Thailändische Kathoey.

Es lässt sich jedoch nicht immer eine Aussage darüber treffen, ob ein Verhalten durch eine Transgender-Person oder lediglich durch eine Umgehung der Grenzen der jeweiligen Geschlechtsrolle begründet war, zum Beispiel bei Frauen, die als Männer verkleidet Soldaten wurden. Außerdem existierten Begriffe wie Transgender, Transsexualität oder Homosexualität noch gar nicht. Häufig sind die Vorfälle davon geprägt, dass sie im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen oder religiösen Verfolgung zustande kamen.

Ein Wechsel der zugewiesenen Geschlechtsrolle kann pragmatische Gründe haben: Beispiele sind Frauen, die sich in Situationen, in denen sie eine Vergewaltigung befürchten müssen − etwa im Krieg − als Männer verkleiden. Oder es gibt Männer, die sich als Frauen verkleiden, um einemMassaker entkommen zu können.

Reaktionen und Sanktionen


Das Abweichen von den jeweilig vorgegebenen Geschlechtsrollen wird üblicherweise sozial, häufig auch strafrechtlich oder religiös negativ sanktioniert. So wurde Jeanne d'Arc unter anderem deswegen verbrannt, weil sie sich weigerte, einen Eid abzulegen, niemals wieder Männerkleidung anzuziehen.

Während entsprechende Gesetze in Europa in den letzten Jahrzehnten abgeschafft wurden oder nie bestanden, gibt es selbst in einigen Bundesstaaten der USA noch Gesetze, die das öffentliche Tragen von nicht zum eigenen Geschlecht gehöriger Kleidung (siehe Cross-Dressing) unter Strafe stellen, allerdings werden diese mit zunehmender Liberalisierung immer seltener angewandt. Weiterhin gibt es in den meisten westlichen (Europa, Nordamerika) sowie einigen anderen Ländern (zum Beispiel Japan, Iran) mittlerweile Gesetze, welche die rechtlichen Aspekte eines Geschlechtsrollenwechsels regeln. In vielen nicht-westlichen Ländern allerdings wird entsprechendes Verhalten wesentlich härter bestraft, bis hin zur Todesstrafe (beispielsweise in vielen islamischen Ländern).

Gesellschaft


In der heutigen westlichen Gesellschaft sind sowohl rituelle als auch aus Not geborene Geschlechtsrollenwechsel äußerst selten geworden, so dass man nahezu immer davon ausgehen kann, dass wer dort Transgender-Verhalten zeigt, dies aus innerer Notwendigkeit tut. Denn eine von den üblichen Geschlechtsrollen abweichende Geschlechtsrollenpräsentation beruht üblicherweise nicht oder nur bedingt auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern sie ist für einige Transgender eine innere Notwendigkeit, da sie die Präsentation in einer akzeptierten Geschlechtsrolle(Heteronormativität) sehr belastend, oder sogar als unlebbar empfinden. Viele Transgender bemühen sich, oft jahre- oder gar jahrzehntelang, darum, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, schaffen dies aber nie so, dass sie sich selber in dieser Rolle wohlfühlen. Viele schaffen es nicht einmal, andere Menschen von diesem Konflikt mit der, ihrem inneren Empfinden nicht entsprechenden Geschlechtsrollenpräsentation, zu überzeugen. Aus diesem Konflikt entstehen häufig psychische Probleme, psychische und psychosomatische Krankheiten,Suchtprobleme und Ähnliches.

Dieser Tatsache teilweise Rechnung trägt in Deutschland seit 1980 das Transsexuellengesetz, welches zumindest die rechtlichen Notwendigkeiten eines Geschlechtsrollenwechsels von weiblich zu männlich (oder umgekehrt) regelt, da Transsexualität als medizinisch behandlungsbedürftiger Zustand anerkannt ist. Wenn auch mit unterschiedlichen Folgen hinsichtlich der Kostenübernahmen für chirurgische oder andere medizinische Maßnahmen existiert die Diagnose F64.9, die neben Intersexualität unter anderem auch für Transgender angewendet wird.

Viele Transgender kritisieren mittlerweile allerdings, dass nur für die medizinische Diagnose Transsexualität, die nur einen relativ kleinen Teil des Trandgender-Spektrums umfasst, beispielsweise chirurgische Maßnahmen zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehören, während Transgendern, welche die Kriterien für Transsexualität nicht erfüllen, die aber juristische oder medizinische Maßnahmen ebenso benötigen, diese nicht oder nur unter Schwierigkeiten erhalten können.

Einige Transsexuelle dagegen beharren auf der Beibehaltung des Transsexuellengesetzes in seiner bisherigen Form und den medizinisch unterschiedlichen Diagnosen, weil sie bei einer Aufweichung der Grenzen einen Verlust in ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz befürchten.

Ursachen


Über die Ursache von Transgendern ist nichts bekannt. Zwar existieren eine Vielzahl von psychologischen Theorien und auch einige, die körperliche Ursachen annehmen, jedoch konnte keine dieser Theorien bisher empirisch belegt werden. Zu jeder einzelnen bis dato postulierten Theorie jedoch lassen sich etliche Gegenbeispiele finden, sowohl unter Transgendern, auf welche die postulierte Ursache nicht, als auch unter Cisgendern (Nicht-Transgendern), auf die sie zutrifft.

Laut deutschem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007) bezeichnet der Begriff Gender diejenigen Geschlechterrollen, die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägt seien. Sie seien „- anders als das biologische Geschlecht - erlernt und damit auch veränderbar.“ (Siehe auch Gender).

Transgender und Sexualität


Grundsätzlich sind Transgender unabhängig von der sexuellen Orientierung und sexuellen Vorlieben; sämtliche sexuellen Variationen, die bei Cisgendern bekannt sind, gibt es auch bei Transgendern.

Die häufige Assoziation insbesondere von Transfrauen mit Prostitution (oder anderen Arbeiten in der Sex-Industrie) rührt daher, dass in vielen Gesellschaften Prostitution die einzige Möglichkeit für Transfrauen ist, Geld zu verdienen, oder die einzige gesellschaftlich anerkannte Rolle für Transfrauen.

Die ebenfalls häufige Assoziation mit Homosexualität hat zwei Ursachen; zum einen die Tatsache, dass lesbische oder schwule Kreise häufiger sowohl Raum als auch Vorbild für Menschen mit abweichender Geschlechtsrollenpräsentation boten. Zum anderen bevorzugen auch Transgender häufig Menschen mit einem anderen Geschlecht als Partner, und zwar mit einem anderenIdentitätsgeschlecht. Dies führt häufig zu Beziehungen, die für Außenstehende homosexuell erscheinen. Die betreffenden Personen betrachten solche Beziehungen allerdings meist alsheterosexuell.

Zwar wird die Behandlung oder Begutachtung von Transgendern häufig von Sexualwissenschaftlern vorgenommen, jedoch (anders als häufig angenommen) haben Geschlechtsidentität undSexualität - zumindest bei Transgendern - nur wenig miteinander zu tun. So ist nicht etwa die Mehrheit der Transgender vor einem eventuellen Geschlechtsrollenwechsel schwul oder lesbisch, um dann hinterher heterosexuell zu leben, sondern im Gegenteil sind etwa die Hälfte der Transgender nach dem Wechsel lesbisch oder schwul, oder auch bi- oder pansexuell. Auch bei jenen Transgendern, die keinen vollständigen Wechsel der Geschlechtsrolle anstreben (Cross-Dresser und andere) ist die Mehrzahl ebenso oft heterosexuell (relativ zu ihrem Ausgangsgeschlecht) veranlagt wie der Durchschnittsmensch.

Transgender versus Transsexualität


Obwohl (oder gerade weil) Transsexualität als eine Form von Transgender erscheint, kam es in Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Transsexuellen, die den Begriff, und/oder jegliche Kommunikation, Zusammenarbeit oder Allianz mit nicht-transsexuellen Transgendern ablehnen, und vor allem politisch motivierten Transgendern andererseits. Die Gruppen unterscheiden sich deutlich im Wunsch und in der Ablehnung von operativen Maßnahmen. Während für die einen geschlechtsangleichende Operationen ein Segen sind und diese angestrebt werden, werden diese von anderen als Verstümmelungen angesehen und abgelehnt.

Wo einerseits „klassische“ Transsexuelle oft argumentieren, dass sie darunter leiden, transsexuell zu sein, und nur ein normales Leben führen möchten, während Transgender (manchmal wird hier stattdessen auch „Transvestiten“ benutzt oder Transvestitismus, also ein nur zeitweiliger Rollenwechsel, impliziert) zum Teil durch ihr Äußeres Aufsehen erregen wollen, oder dadurch „Spaß haben“ möchten (ebenso werden teilweise auch sexuelle Motive unterstellt), verweisen einige Transgender andererseits darauf, dass a) nicht-transsexuelle Transgender genauso leiden können und genauso medizinische und juristische Maßnahmen benötigen können wie Transsexuelle, und dass b) noch lange nicht alle nicht-transsexuellen Transgender Aufsehen erregen möchten oder „Spaß haben“ wollen, sondern es genauso nicht-transsexuelle Transgender gibt, welche ebenfalls für sich persönlich kein großes Interesse daran haben, irgendwie aufzufallen in Hinsicht auf ihre Geschlechtszugehörigkeit.

Diese angenommene Unterscheidungsmöglichkeit wird zunächst durch die ICD-10-Definitionen von „Störungen der Geschlechtsidentität“ insoweit unterstützt, weil dieses unter F64.0 (Transsexualität, vollständiger Geschlechtsrollenwechsel innerhalb eines als binär verstandenen Systems, unter Inanspruchnahme „so weit wie möglicher“ medizinischer Maßnahmen) und F64.9 (nicht näher definierte Geschlechtsidentitätsstörung) eine ähnliche Unterscheidung trifft. Allerdings ignorieren die Argumentationen nach ICD folgende Faktoren:

  • Die ICD-Definition ist nach dem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens veraltet.

  • Das DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) verzichtet gänzlich auf den Begriff Transsexualismus und spricht (unter der Nummer 302.85 für Adoleszente und Erwachsene bzw.302.6 für Kinder) nur noch allgemein von Geschlechtsidentitätsstörungen, welche in unterschiedlich schwerer Form auftreten und bei welcher die notwendigen Behandlungen jeweils auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt sind und nicht nur eine Alles-oder-Nichts-Alternative bieten.

  • Und nicht zuletzt jene nicht unbeträchtliche Anzahl von Menschen, welche zwar einen Geschlechtsrollenwechsel samt den für sie notwendigen medizinischen und juristischen Maßnahmen benötigen oder bereits vollzogen haben, die jedoch, sei es, weil sie ein binäres Geschlechterverständnis ablehnen oder gewisse medizinische Maßnahmen für sich nicht benötigen, nicht die strikte Definition von F64.0 erfüllen.

Andere Transsexuelle begrüßen den Begriff Transgender, weil er nicht den in der deutschen Sprache problematischen Wortbestandteil sex enthält, da hier, anders als im Englischen mit den beiden Ausdrücken sex für das körperliche und gender für das soziale Geschlecht, nur ein einziger Begriff existiert. Dieser Umstand führt sprachbedingt im Allgemeinen zu dem Missverständnis, dass Transsexualität primär ein sexuelles Problem sei. Aus diesem Grund, und dem Umstand, dass in der deutschen Sprache die Geschlechtszuordnung eben mit dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt wird, wird Transsexualität in Deutschland häufiger, in Österreich seltener auch durch den Begriff der Transidentität ersetzt.

Intersexuelle


In einigen Definitionen werden pauschal alle intersexuellen Menschen, also Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht eindeutig ist, unter Transgender subsumiert. Andere Definitionen betrachten nur diejenigen Intersexuellen als Transgender, die ihre Geschlechtzuweisung in irgendeiner Form als problematisch empfinden.

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